„Die Kunst des Moments: Wie Interviews zu echten Gesprächen werden“

Heutzutage ist es so, dass nicht immer alle Interviewpartner kommen, die wir gerne hätten. So kann man sich also auch nur sehr bedingt auf konkrete Interviews vorbereiten, weil man nie sicher weiß, wen man ans Mikrofon bekommt. Davon abgesehen ist es aber tatsächlich so, dass es eine Mischung ist. Ich mache mir während des Spiels schon Gedanken, welche Themen wirklich so brisant oder so interessant sind, dass ich sie ansprechen sollte. Aber ich bin kein Freund davon, einen Fragenkatalog abzuarbeiten. Das Interview wird eigentlich immer dann besonders gut, wenn es auf Aussagen des Gegenübers eingeht und reagiert.

Man sollte schon auf verschiedene Fälle vorbereitet sein. Ich nutze die Zeit unter der Woche, um mich auf meine jeweiligen Einsätze vorzubereiten und versuche, mich möglichst breit mit der Situation des jeweiligen Teams auseinanderzusetzen. Was ist dort gerade los? Wie ist dort gerade die Stimmung? Welche Themen liegen an und wo können vielleicht auch mal Reizthemen über das Offensichtliche hinaus sein? Man guckt zum Beispiel auch immer: Gibt es Querverbindungen von der einen Mannschaft zur anderen Mannschaft, oder von einem Spieler zum Trainer des Gegners? Hatten sie eine gemeinsame Vergangenheit? Man muss jederzeit in der Lage sein, sich auf einen Gesprächspartner einzulassen, der ein anderer ist, als man erhofft hatte.

Nehmen wir das aktuelle Beispiel eines vielfachen Nationalspielers, der bei seinem Verein zuletzt nur selten zum Einsatz kam: Gestern habe ich etwas erstaunt registriert, dass er sich mal wieder zu einem Interview bereit erklärt hat. Denn in den vergangenen Wochen, als er bereits wieder gespielt hatte, hätten wir ihn gerne auch mal interviewt. Da hätte es schon viele spannende Fragen gegeben. Aber da wollte er und der Verein das nicht. Da sind mittlerweile sehr viel mehr Faktoren im Spiel als zu den Zeiten, als ich in dem Beruf anfing. Damals ging man auf den zu, den man interviewen wollte, und in 95 Prozent der Fälle ist er dann auch stehen geblieben. Also der Spieler, der vom Platz geflogen ist, der drei Tore gemacht hat, der in der vergangenen Woche den Trainer kritisiert hat. Heute laufen diese Anfragen während des Spiels über meine Aufnahmeleitung bzw. den Leiter der Sendung, weiter an die Medienabteilung der jeweiligen Bundesligisten. Das klappt oft, in einigen Fällen aber auch nicht.

Man geht hoffentlich cool und angemessen damit um. Interviews, die auch Mal emotional werden, sind eigentlich das Salz in der Suppe. In meinem Fall erinnere ich mich an ein Interview mit Nico Schlotterbeck im Frühjahr, als er ziemlich erbost reagierte auf die Frage, warum er eine bestimmte Chance nicht verwertet habe.

Idealerweise bleibt man dann ruhig und muss verschiedene Sachen berücksichtigen. Man will auf der einen Seite nicht als jemand der vom Gegenüber abgewatscht wird, dastehen, auf der anderen Seite will man aber auch eine Situation nicht zwingend eskalieren lassen. Da muss man die Balance finden.

Ich habe auch in der vergangenen Saison häufiger Interviews mit Thomas Tuchel geführt. Jetzt steht der Klassiker ja wieder an. {Interview wurde 4 Tage vor dem Spiel geführt Anm. d. A.} Und vor dem Klassiker Dortmund – Bayern, gab es damals schon Scharmützel von Tuchel mit unseren Experten Hamann und Matthäus und ich stand mit Tuchel zum Interview bereit. Im Vorlauf äußerte Matthäus eine inhaltliche Kritik in der Analyse, die Tuchel schon mithörte. Indem Moment ist bei ihm die Kinnlade runter gegangen und er hat auf meine ersten beiden Fragen total kurz angebunden und relativ

angefasst reagiert.

Und dann habe ich ihn gefragt: „Warum sind sie denn so schlecht gelaunt?“ Das war dann die Frage, die das Ganze auf der Ebene verändert hat. Da habe ich mir gedacht, mit der Situation kann ich ja jetzt in gewisser Form spielen. Das setzt aber

voraus, dass man sich selbst dem Gegenüber auf Augenhöhe betrachtet.

Das ist mein Ansatz, anstatt in dem Moment, die Flatter zu bekommen und zu hoffen, dass er da irgendwie noch einigermaßen durchkommt. Wenn jetzt aber solch eine emotionale Situation entsteht, verlasse ich mich einfach auf meine eigenen

empathischen Fähigkeiten, die Situation zu händeln.

Wenn ich etwa jemanden wie Emre Can habe, der sportlich kritisch

gesehen werden musste, der aber menschlich aufgrund des Hates in Social Media

unter der Gürtellinie attackiert wurde…Dann ist es auch meine Aufgabe, ihn nicht bildlich gesprochen in den Arm zu nehmen, aber eben auch mal die Brücke zu bauen und mir mal anzuhören; was so etwas mit ihm macht. Das sind so die Stichworte: Fairness, Respekt, aber eben auch Augenhöhe. Aber Respekt ist keine Einbahnstraße von mir zum anderen, sondern das verlange ich umgekehrt auch.

Empathie bedeutet für mich auch zu versuchen, sich hineinzuversetzen. Wie fühlt sich der Gewinner, wie fühlt sich der Verlierer? Und dann die Brücke zu schlagen und ihn schildern zu lassen, wie es in ihm aussieht. Das ist meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist, Anwalt der Zuschauerinnen und Zuschauer zu sein, also dem Gegenüber diese Dinge zu entlocken, sei es Freude, sei es sportliche Trauer, sei es Ärger über irgendeinen Platzverweis, aber auch eine Einschätzung dazu: Warum ist die Mannschaft im Moment nicht so gut drauf? Oder wie groß ist die Abstiegsgefahr?

Ja, natürlich. Ich gehe da ja nicht hin und bin eiskalt. Man muss bei diesen Interviews im ersten Schritt versuchen, diese Emotion rüberzubringen. Also zum Beispiel sportliche Trauer über die verpasste Meisterschaft und – je nachdem, wie sich ein Gespräch entwickelt – natürlich aber auch mal zu fragen, was denn gefehlt hat. Oder war man sich vorher zu sicher? Das muss man dann feinfühlig machen, darf es gleichzeitig aber auch nicht wegschieben. Selbstverständlich wird man von dieser Situation aber beeinflusst. Man sollte sich aber nicht komplett davon mitreißen lassen, dem Ganzen natürlich aber auch nicht distanziert gegenüberstehen. Das ist mit Distanz nicht gemeint. Mit Distanz ist nur gemeint, klarzumachen, dass man selber nur der Übermittler ist. Es bin ja nicht ich, der nicht Deutscher Meister mit Dortmund geworden ist oder mit den Bayern eben Deutscher Meister geworden ist. Das ist nie mein Ansatz gewesen. Und es war übrigens auch immer ein Trugschluss von Kollegen zu glauben, wenn sie sich möglichst als Fan einer Mannschaft zu erkennen geben, dass dann Interviews besser werden. Das ist eine völlige Fehlinterpretation der Rolle, in der man sich da

befindet.

Neugier auf Menschen, Neugier auf unterschiedliche Situationen.

Das ist schon sehr wichtig, nicht vorgefasst in so eine Situation reinzugehen, sondern sich von dem auch überraschen zu lassen, was kommt. Dann braucht man natürlich eine Spontaneität und Schlagfertigkeit, weil man auf diese Situation reagieren muss. Fragen, zuhören, und auf das eingehen, was der andere antwortet. Das setzt wiederum voraus, dass man fachlich sehr gut im Sattel ist, weil man eben nicht nur den eigenen Fragenkatalog runterdrehen kann, wenn man auf etwas reagiert. Im

Laufe der Jahre hilft dann auch die Erfahrung, das ist keine Frage. Nennen wir es Fingerspitzengefühl für die Situation.