Berufsalltag für die Polizei – Ausnahmesituation für das Opfer

Es ist sicherlich eine Herausforderung, sich von der Person des Opfers professionell abzugrenzen, egal wie schwer die Straftat auch sein mag. Sie müssen sich, um ihre Professionalität, aber auch ihre Psyche zu schützen, von der Situation, der Straftat und deren Folgen abgrenzen. Wichtig ist, Empathie zu entwickeln, ohne sich dabei emotional nicht zu sehr mit der Person solidarisieren.

Das meine ich mit „professionell“ bleiben. Und wenn ich merke, ich bin zu sehr beeindruckt von dieser Tat und von dem, was dem Opfer zugestoßen ist, muss ich in mich reinhorchen. Dann kann ich meine Kollegen oder meinen Vorgesetzten ansprechen und sagen, ich möchte diese Ermittlung aus persönlicher Betroffen- oder Voreingenommenheit nicht machen, bitte setzt jemand anderen ein.

Das ist schon der Lehrinhalt unseres Studiums. Dort wird sehr viel über Kommunikation, Psychologie und Kompetenzen im Umgang mit Menschen und Kulturen vermittelt. Zum einen passiert das im Studienkontext, zum anderen im Kontext der Praxisausbildung.

Das ist wie beim Führerschein. Sie müssen nach dem Abschluss der Ausbildung fahren lernen. So müssen Sie auch den Polizeiberuf im täglichen Leben erlernen und auch auf Hilfe von erfahrenen Kollegen und Kolleginnen zurückgreifen. In jungen Jahren ist das so, dass die Kollegen zunächst einmal einer Vernehmung beiwohnen und sehen, wie andere Kolleginnen und Kollegen das tun.

Der Polizeibeamte, die Polizeibeamtin, ist ein individueller Mensch, der sich unterschiedlich vorbereitet und der entsprechende Qualitäten hat. Und sie haben es immer mit Individuen zu tun, auf der anderen Seite des Tisches. Jedes Opfer ist anders, jedes Opfer geht anders mit der Situation um und auch jede Tat ist anders.

Ja, wir sprechen da von offenen Fragen. Die großen W-Fragen. Da gehört zunächst einmal dazu, dass man eine Atmosphäre schafft, in der jemand auch nach Möglichkeit gelöst mit dem Kollegen spricht. Und dann ist es ganz wichtig, offene Fragen zu stellen. Sie sollten Suggestivfragen und geschlossene Fragen, die man mit Ja oder Nein beantworten kann, vermeiden. Das Opfer soll die Gelegenheit haben, „frei nach Schnauze“ zu reden und sich vor mir „auszukotzen“.

Und dann ist es die Fähigkeit der Kollegin und des Kollegen, in Kenntnis des Sachverhalts nachzufragen: In welchem Bereich ist mir, bezogen auf die Tat, noch etwas offen? Was muss ich für die weiteren Ermittlungen noch wissen?

Die Menschen sind, je nach Ausmaß der Tat, meistens traumatisiert. Es ist wichtig, dass man sich zunächst akribisch auf den Sachverhalt vorbereitet. Im Idealfall sind auch sämtliche Sachbeweise, also Spuren, gesichert, um dann mit dem Opfer ins Gespräch, die Vernehmung, zu kommen.

Um mit dem Opfer in ein gutes Gespräch zu kommen, muss man sich genauso auf die Person vorbereiten. Das heißt: Mit wem habe ich es zu tun? Welche Straftat gilt es zu bearbeiten? Und was macht die Tat möglicherweise mit dem Opfer? Da muss ich mich als vernehmende Beamtin oder Beamter mit dieser Ausnahmesituation bei diesem fremden Menschen sehr intensiv auseinandersetzen. Das ist eine Frage der Empathie.

Das lernen wir in der Ausbildung, da ist aber auch viel Erfahrungswissen mit dabei, Lernen in der Praxis. Viele bringen diese Fähigkeit aber auch schon von zuhause mit in den Beruf – das hilft sehr. Wichtig ist, dass wir uns als Polizei immer klarmachen: Was für uns beruflicher Alltag ist, ist für das Opfer oder den Geschädigten einer Straftat immer eine Ausnahmesituation. Das passiert den Menschen vielleicht einmal im Leben, aber wir werden damit täglich oder mehrfach täglich konfrontiert. Dann ist es ganz wichtig, sich darauf einzustellen, dass dieser Mensch in einer Ausnahmesituation ist und darauf einzugehen.

Wir haben zum einen die spezialisierten Fachkommissariate. Es gibt zum Beispiel das Fachkommissariat Gewalt gegen Frauen und Kinder. Die Kolleginnen und Kollegen sind natürlich ganz besonders ausgebildet, da es bei ihnen immer um Gewaltstraftaten oder Sexualstraftaten geht. Das ist ein Bereich, in dem das Opfer eine herausgehobene Stellung in unserem Ermittlungsverfahren innehat.

Diese Kolleginnen und Kollegen unterziehen sich auch selbst regelmäßig einer sogenannten Supervision, denn sie haben immer mit schweren Straftaten zu tun, mit traumatisierten Menschen, insbesondere im Bereich der Sexualstraftaten. Und da ist es natürlich wichtig, dass auch ihre Psyche über die Jahre hinweg nicht leidet.

Ansonsten muss der Vernehmungsbeamte eine Universalfähigkeit entwickeln, um sich auf das Gegenüber einzustellen. Ob das ein alter Mensch ist, ob das ein junger Mensch ist, ob das ein Mensch mit einem Migrationshintergrund ist oder ob das ein Mensch mit einer bestimmten beruflichen Vita ist. Es ist die Kunst der Vernehmungsbeamten sich darauf einzustellen und das beste Ergebnis herauszuarbeiten. Das ist Professionalität.