Auf der letzten Reise – Die Fragen zwischen Leben und Tod

Volker Winkler ist 56 Jahre alt und führt in der dritten Generation das Bestattungsinstitut Winkler in Seligenstadt. Zusammen mit seiner Frau Heike und einigen Angestellten kümmert er sich täglich um die Überführung von Verstorbenen in die Räume des Institutes, versorgt sie hygienisch, rekonstruiert und bereitet sie für die letzte Abschiednahme vor. Darüber hinaus berät er die Angehörigen hinsichtlich der Gestaltung der Bestattung und plant zusammen mit ihnen die Trauerfeier. Mit dem unberechenbaren Berufsalltag eines Bestatters ist er aufgewachsen und im Alter von 15 Jahren hat er zum ersten Mal einen Leichnam abgeholt und aufbereitet. 2002 übernahm er die Pietät seines Vaters.

Erstmal spreche ich natürlich mein Beileid aus. Danach sollten Sie sich fragen, ob Sie alle Unterlagen zusammen haben. Es ist so, dass ich den Angehörigen sage, welche Unterlagen ich brauche. Dabei erwähne ich die ganzen wichtigen Urkunden, Rentennummer, Krankenkassenkarte und Lebensversicherungen, weil wir die nötigen Abmeldungen durchführen. Sie müssen uns dann nach einem Termin fragen. Es gibt auch Bestatter, die in das Sterbehaus kommen. Aber das ist nicht unsere Philosophie. Wir haben Geschäftsräume, sodass die Menschen für ihre Trauer aus dem Raum, den sie gewohnt sind, zu uns kommen. Hier ist dann meistens eine ungestörte Atmosphäre, da keine Bilder an der Wand hängen, die vielleicht an den Verlust erinnern. Das ist auch der erste Schritt zur Trauerbewältigung.

In den meisten Fällen beantragen wir die Sterbeurkunde und das ist natürlich erstmal trocken, aber aus diesem trockenen Aufnehmen und Abgleichen von den Daten entwickelt sich meistens ein Gespräch oder es kommt etwas Persönliches hoch. Danach suchen wir nach einem Termin für die Beerdigung. Möchten Sie eine Traueranzeige schalten? Welches Bild soll auf dem Erinnerungskärtchen für die Trauergäste sein? Möchten Sie von dem Verstorbenen ein letztes Mal Abschied nehmen und wenn ja, welche Kleidung soll er dabei tragen? Welche Bestattungsart soll es sein? Wie soll gegebenfalls die Urne aussehen? Und welche Musik soll auf der Trauerfeier gespielt werden? Es sind unheimlich viele Fragen. Das Gespräch kann bis zu drei Stunden dauern.

Klar sind die Emotionen da und es ist unterschiedlich, wann dann auf einmal der Tränenausbruch kommt. Manche sind ganz abgeklärt und entschuldigen sich für ihre Abgeklärtheit, weil es besser war, dass derjenige dann endlich gehen durfte und konnte. Aber hier die Fragen anpassen, puh. Die genaue Reihenfolge und meine Worte wähle ich intuitiv, das passiert einfach. Oder auch wie Menschen reagieren auf meine Frage. Manche finden Dinge auch sinnlos oder überflüssig. Oder Sie wollen dann schon die Lieder aussuchen, obwohl ich noch nicht mal bei den Daten war. Man muss flexibel mit der Reihenfolge sein.

Also den Kaffee frage ich sowieso immer vorher ab oder auch andere Getränke, damit die Menschen ankommen können. Ein besonders emotionales Gespräch führe ich, wenn zum Beispiel Kinder versterben. Das ist auch für mich eine große Herausforderung. Im Kopf spielt sich dann bei fast jedem Menschen ab, okay, das Sternenkind hatte keine Chance zu leben, was wäre aus ihm geworden? Und dann sind trauernde Eltern da, die auch anders trauern, als wenn sie ihre eigenen Eltern oder Freunde verlieren, weil die Reihenfolge anders ist. Das nimmt die Eltern, egal wie alt sie sind, immer mit. Ich kann mich persönlich darauf auch nie vorbereiten. Meistens bin ich sogar so ehrlich und sage den Angehörigen, dass es ist für mich eine ungewohnte Situation ist und mich auch berührt.

Wenn ich merke, dass es emotional überhaupt nicht mehr funktioniert, schlage ich vor, das Gespräch erst mal zu unterbrechen und am nächsten Tag wieder zu kommen. Das hatte ich auch schon ein paar Mal. Es ist dann immer von der emotionalen Seite schwierig, in die Sachliche zu kommen. Klar ist es ein blöder Moment, aber es ist auch wichtig.

„Wir gehen jetzt die Urne aussuchen“. Ich mache es meistens so, dass ich sie in die Ausstellung führe. Danach kommen wir wieder zurück und besprechen erst, wo die Urne platziert und was für Musik gespielt werden soll. So unterbreche ich noch ein Mal das Gespräch und die Angehörigen können tatsächlich wieder mal ein Stück gehen.

Puh. Es gibt tatsächlich einen Fall. Die Ehefrau des Verstorbenen war mit ihrer Tochter hier, ich habe die Daten aufgenommen und dann kam es zu der Frage: „Wie viele Kinder sind denn aus dieser Ehe hervorgegangen oder sind welche mit in die Ehe gebracht worden?“ Und in dem Moment hat die Mutter der Tochter wissen lassen, dass sie noch einen Halbbruder hat. Der Moment kommt mir oft bei Besprechungen in das Gedächtnis. Einen Fall hatte ich noch miterlebt, da hat meine Mutter eine Besprechung geführt. Es ging tatsächlich um ein Sternenkind und die Frage, wie es bestattet werden soll. Meine Mutter hatte angeboten, den Säugling einäschern zu lassen, da sie die finanziellen Verhältnisse der Familie kannte und eine Feuerbestattung deutlich günstiger ist. Die Frau ist herausgelaufen, auf die Straße gegangen und hat ihre große Tochter dort sitzen gelassen. Die beiden waren natürlich absolut nicht konform und ich persönlich bin es auch nicht. Denn einem Säugling sind noch keine Knochen gewachsen. Wenn Sie dennoch eine Einäscherung vornehmen, bekommen Sie natürlich die Asche, aber es ist aber nicht ihr Menschenkind.

Die gibt es indirekt, wenn ich jetzt zum Beispiel jemanden vor mir sitzen habe, bei dem ich weiß, dass die finanziellen Verhältnisse schwierig sind und fragen muss: „Wie wollen Sie das finanzieren?“ Oder muss ich darauf achten, dass ich das Günstigste vom Günstigsten anbringe? Es gibt die Möglichkeit in solchen Fällen, dass derjenige einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten stellt beim Sozialamt. Aber es ist auch nicht einfach für denjenigen, das zu tun.

Wann ist die Beisetzung? Müssen wir selbst mit dem Pfarrer und der Stadt reden? Für den Termin? Und für diese Fragen bin ich tatsächlich der Koordinator zur Stadt. Die Frage „Kann ich ihn nochmal sehen?“ wird auch gefragt, aber das ist nicht die häufigste Frage.

Die ist nicht skurril. Die wird tatsächlich auch manchmal gestellt, also ob man ein bisschen Asche haben oder separiert mitnehmen könne. „Darf ich mich in den Sarg reinlegen? In dem Kontext, dass der Sohn probieren wollte, wie dann der Papa liegt. Ja. Also das war tatsächlich schon skurril, aber wir haben es möglich gemacht.

Ja, definitiv. Also ich bin aktuell bei der Erdbestattung, ins Feuer will ich nicht.

Das mit der Endlichkeit. Obwohl ich es täglich miterlebe, ist die Endlichkeit für mich persönlich ein schwieriges Thema. Philosophisch gehen wir irgendwo hin. Aber wie der Weg ist, ob es wirklich etwas gibt und wie nach dem Tod aussieht, weiß man nicht. Das weiß man bei der Geburt aber auch noch nicht. Und zu spüren, dass nach vier, fünf Generationen vielleicht überhaupt keiner mehr an mich denkt, ist ein unheimlich trauriger Gedanke.

Ich habe eine erleichterte Sichtweise auf den Übergang und weiß, dass meine letzte Reise erinnerungsvoll sein wird.

Von: Katharina Nuesslein