Ruhe zu bewahren ist für Notfallsanitäter Steffen Hnizdo bei der Arbeit das Allerwichtigste. Das macht es ihm möglich, gezielt Fragen zu stellen, um Patient:innen so gut wie möglich zu helfen. Aber welche Fragen stellt man überhaupt im Notfalldienst?

Steffen Hnizdo arbeitet als Notfallsanitäter in Aschaffenburg. Seine Aufgabe ist die Versorgung und der Transport von Patient:innen. Schon als Jugendlicher war er im Jugendrotkreuz tätig und wurde mit 16 Jahren in die Bereitschaft aufgenommen. Dort absolvierte er eine 520 Stunden Ausbildung zum Rettungssanitäter. (Damals existierte das Berufsbild des Notfallsanitäters noch nicht). Trotz seines eigentlichen Berufs als Bäcker, entschied sich Steffen Hnizdo 1992 lieber hauptberuflich seiner wahren Leidenschaft, dem Rettungsdienst, zu folgen.
Welche Fragen stellst du zuerst, wenn du an einen Notfallort kommst?
Bei Notfallpatienten geht es um die Fragen: Kriegt er gut Luft? Wie ist der Kreislauf? Wie ist die Neurologie, also die Wachheit? Nimmt der Patient mich wahr? Das kann man meistens schon erkennen, wenn man sich mit dem Patienten unterhält. Wenn es kein hoch kritischer Patient ist, dann sind die Fragen: Warum sind wir hier? Was war ausschlaggebend für den Anruf bei uns? Und dann lasse ich die Patienten erzählen. In der Regel fangen die Leute dann mit den Sachen an, die für sie am wichtigsten sind. Daraus leiten sich meine weiteren Fragen ab.
Was sind die größten Herausforderungen, wenn es wirklich darum geht, schnelle und präzise Antworten zu erhalten? Wie macht man das zum Beispiel, wenn ein:e Patient:in eben nicht in der Lage ist, die Fragen zu beantworten?
Wenn ein Patient dazu nicht in der Lage ist, ist man auf Angehörige angewiesen, die in der Nähe sind. Dann muss man auch davon ausgehen, dass der Patient nicht selbst angerufen hat. Es muss also irgendjemanden geben, der vor Ort und irgendwelche Beobachtungen gemacht hat. Wenn es zum Beispiel ein Sturz war, ist es interessant zu wissen, ob derjenige “nur” gestolpert ist, eine Stufe von der Treppe übersehen hat oder ob dem vorher schlecht geworden ist. Das sind Fragen, die zur Anamnese gehören und aus denen man ableiten kann, was gewesen ist oder was für Verletzungen vorliegen könnten.
Was macht man, wenn Sprachbarrieren vorherrschen? Und wie geht man vor, wenn ein:e Patient:in panisch reagiert?
Wenn ein Patient panisch reagiert, ist es in erster Linie wichtig, ihn zu beruhigen, um vernünftige Antworten zu bekommen. Und Sprachbarrieren, das ist natürlich ganz schwierig, weil der Anteil ausländischer Mitbürger natürlich schon relativ hoch ist. Es gibt diverse Hilfsmittel, zum Beispiel Übersetzer, die aber sehr mühsam sind. Je kritischer die Situation ist, desto unwichtiger wird es dann auch, weil ich dann schon sehen kann, was zu tun ist. Also wenn derjenige nach Luft schnappt und Atemgeräusche von sich gibt, die auf eine Atemwegsbehinderung hindeuten, dann ist die sprachliche Kommunikation erst einmal weniger wichtig. Da muss ich eher versuchen, anhand der Mittel, die ich in dem Moment habe, möglichst schnell herauszufinden, was dem Patienten jetzt helfen könnte. Es gibt auch Karten in verschiedenen Sprachen, wo man mit dem Patienten kommunizieren kann, aber das habe ich noch nie als Hilfe empfunden, sondern immer als zu langwierig und zu ungenau. Das ist höchst schwierig. Ansonsten ist es am besten, wenn irgendjemand da ist, der einigermaßen deutsch spricht.
Lernt man das Kommunizieren in Notfällen auch in der Ausbildung? Wird man geschult, wie man richtig Anamnese macht, wie man richtig Fragen stellt, um wirklich schnell Informationen zu erlangen oder ist es auch viel durch Erfahrung gekommen?
Zum einen ist Kommunikation ein großer Teil der Ausbildung, da wird sehr viel Wert darauf gelegt, auch auf die Kommunikation innerhalb des Teams. Und dann, wie gesagt, dreht sich im Prinzip alles um diese Fragen: Atmung, Atemweg, Kreislauf, Neurologie, um beim Patienten Feststellungen machen zu können. Wie man da am besten vorgeht, ist zum großen Teil Routine. Ich habe schon gemerkt, dass ich Patienten manchmal anders befrage, wie die jüngeren Leute, die die Ausbildung bei uns gerade erst abgeschlossen haben. Weil ich weiß, dass wenn ich bestimmte Fragen zuerst stelle, ich den Patient vielleicht in einer Art und Weise beeinflussen kann. Ich überlege mir auch im Kopf vorher: Was will ich fragen? Was sind mögliche Antworten? Und ist es vielleicht intelligenter, eine andere Frage vorher zu stellen, um den Patienten auf einen “Pfad” zu leiten? Das ist aber etwas, das sich mit der Zeit und der Erfahrung ergibt. Ich merke nur, dass ich das immer wieder feststelle, wenn ich zum Beispiel Auszubildende im 2. oder 3. Lehrjahr vorschicke. Dann denke ich mir manchmal: “Das hätte ich jetzt so nicht gestellt”, oder “ich hätte eine andere Formulierung gewählt”. Aber das macht die Erfahrung, das kann man auch, glaube ich, nicht lernen.
Wie gehst du vor, wenn du eine emotional aufgelöste Person versorgen musst?
Bei Angst ist das Ziel immer erst einmal, ihn zu beruhigen, damit er überhaupt vernünftige Antworten geben kann. Da ist es auch schon passiert, dass ich das dann aufgegeben habe, weil ich gemerkt habe, dass ich auf diese Art nicht weiter komme. Dann machen wir erst einmal etwas anderes. Zum Beispiel wird Blutdruck gemessen, dass er sieht: Es tut sich was. Es hilft mir jemand. Da wird zum Beispiel der EKG angeschlossen, auch wenn man das vielleicht in dem Moment gar nicht braucht, nur um denjenigen aus seiner Panik oder aus seiner Unsicherheit zu holen. Ein paar Minuten später, geht’s vielleicht schon besser. Im Beisein des Patienten mit Angehörigen sprechen, kann auch schon beruhigen. Allein die Tatsache, dass man da ist und die Leute merken, dass was passiert, beruhigt meistens schon. Aber von jemandem, der total panisch ist, kann ich meistens keine vernünftigen Antworten erwarten.
Ist es schon mal vorgekommen, dass die Angehörigen kritische Fragen gestellt haben, zum Beispiel zu deiner Vorgehensweise in einer Situation?
Ja, das kommt hin und wieder mal vor. Aber eigentlich wissen fast alle von uns, was sie tun. Was wir dürfen, wo unsere Grenzen sind und was wir machen müssen. Da muss man souverän bleiben, ruhig bleiben und den Leuten die Situation erklären. Hin und wieder bin ich da auch schon mal deutlich geworden.
Wenn die Forderungen zu heftig waren, habe ich Personen auch schon mal schärfer angesprochen. Ich habe jemanden dann mal gefragt, was er beruflich macht und ihm erklärt, dass ich davon auch keine Ahnung habe. Das hat er zum Glück auch verstanden. Aber sowas kommt eher selten vor. In der Regel folgen die Leute unseren Vorschlägen.
Reflektiert man nach jedem Einsatz beziehungsweise am Ende eines Einsatztages nochmal über die eigenen Fragen oder bespricht das Ganze vielleicht sogar mit jemandem?
Man spricht immer mal wieder, aber nicht über jeden Einsatz. Viele Sachen sind “0815”, da muss man nicht mehr viel drüber reden. Je nachdem mit wem man unterwegs ist, muss ich manchmal entweder noch etwas erklären oder sagen, wie ich gewisse Sachen zukünftig haben möchte. Da wir doch immer wieder mit wechselnden Teampartnern unterwegs sind und jeder von uns eine etwas andere Vorgehensweise hat, gibt es manchmal Gesprächsbedarf. Aber viel, was wir machen, ist der Situation geschuldet und ist flexibel handzuhaben. Bestimmte Dinge besprechen wir dann hinterher trotzdem noch einmal, wenn ich denke, dass das Teammitglied davon in der Zukunft profitieren könnte. Und ich selbst? Dadurch, dass ich mir jedes Einsatzprotokoll aufhebe und digital ablege, lese ich sie mir nochmal durch. Ich stelle mir dann Fragen und überlege, “warum hast du das so oder so gemacht” oder “da wäre es vielleicht geschickter gewesen, die und die Maßnahme zu ergreifen oder das sein zu lassen”. Aber das tue ich nicht bei jedem Einsatz.
Wenn du auf den Beginn deiner Karriere zurückblickst, kannst Du feststellen, dass sich deine Fragen- und Kommunikationstechniken mit der Zeit verändert haben? Verbessert vielleicht?
Oh, das weiß ich nicht genau, aber ja, bestimmt. Das ist alles zu lange her. Dieser Prozess ist auch so schleichend, dass ich mich nicht daran erinnern kann, wie ich das früher gemacht habe. Ich hebe, wie gesagt, jedes meiner Einsatzprotokolle auf, aber auch nicht seit Beginn, erst seit circa 2010. Da stelle ich mitunter auch eine andere Ausdrucks- oder Vorgehensweise fest. Diese verändern sich mit der Erfahrung, die man macht. Zumal man sagen muss, dass ich als einer, der bisher diesen Weg zum Notfallsanitäter gemacht hat, eine ganz andere Lernkurve hatte. Die war viel flacher, aber dadurch viel länger. Und die Auszubildenden heute fangen quasi bei null an und müssen in drei Jahren, auf, ich sag mal, das ungefähre Level von mir kommen. Das ist eine ganz andere Nummer.
Von: Sophia Sibirski