(Ver)antworten – Über die Philosophie des Fragens 

Jörn Wiengarn ist seit Oktober 2022 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wissenschafts- und Technikphilosophie an der TU Darmstadt. Zuvor schloss er 2016 sein Studium der Physik, Politik und Wirtschaft sowie Philosophie und Ethik ab und promovierte 2022 an der Universität zu Köln mit einer Arbeit über interpersonelles Vertrauen. Aktuell umfassen seine Forschungsschwerpunkte die Themen Wissenschaftsskepsis und Vertrauen in die Wissenschaft, soziale Werte in der Wissenschaft, sowie Fake News und Desinformation. https://www.philosophie.tu-darmstadt.de/institut_phil/mitarbeiter_innen_phil/wiengarn.de.jsp

Welche Bedeutung haben Fragen in unserer Gesellschaft?

Das ist eine große Frage. Wahrscheinlich wäre es eine erste gute Annäherung zu sagen, dass sie eine zentrale Rolle in der Kommunikation und Erkenntnisgewinnung spielen. Sie sind oft der erste Schritt, um Klarheit und Orientierung zu gewinnen. Gute Fragen können Probleme präzise benennen und Wege aufzeigen, wie diese zu lösen sind. Besonders in wissenschaftlichen Kontexten merkt man das deutlich: Wenn man eine Fragestellung präzise formuliert hat, ist das oft schon die halbe Lösung. Eine klar formulierte Frage zeigt, wo die relevanten Probleme liegen, und gibt eine Richtung vor, wie man sie beantworten kann. 

Darüber hinaus haben Fragen auch eine moralische Dimension. Sie verlangen nach Antworten und das Wort „Antwort” hängt sehr eng mit dem Begriff der “Verantwortung” zusammen. Fragen können Verantwortung einfordern, wie man es etwa im Parlament oder vor Gericht sieht – dort dienen sie nicht nur der Klärung, sondern auch der Rechenschaftspflicht.

Was macht eine gute Frage aus?

Eine gute Frage lenkt den Fokus auf die relevanten Aspekte eines Problems und grenzt den Raum sinnvoll ein. Sie sollte weder zu offen noch zu spezifisch sein. Zum Beispiel wäre im Rahmen einer wissenschaftlichen Hausarbeit die Frage „Was ist Moral?“ viel zu weit gefasst, um sinnvoll beantwortet zu werden.  Stattdessen könnte man fragen: „Wie ist eine spezifische technologische Entwicklung moralisch zu bewerten?“

Können Fragen auch manipulativ sein?

Absolut. Problematische Fragen arbeiten oft mit stillen Annahmen, die implizit mitschwingen. In der Wissenschaftsskepsis sieht man solche Strategien häufig. Zum Beispiel: „Wer profitiert davon, dass wir an den Klimawandel glauben?“ Diese Frage suggeriert unter anderem, dass es keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel gibt, sondern dass es lediglich eine Frage des Glaubens sei. Solche Fragen werden dann oft auch in den Raum gestellt, ohne dass sie beantwortet werden sollen. Ihr Ziel ist nicht der Erkenntnisgewinn, sondern die Verunsicherung.

Außerdem gehen wir oft davon aus, dass wir Fragen in dem Sinn, wie sie uns gestellt werden, beantworten müssen. Es erfordert deutlich mehr Anstrengung, die problematischen Vorannahmen herauszuarbeiten, statt die eigentliche Frage zu beantworten. Diese Tendenz wird sich auch bei falschen Alternativen zu Nutze gemacht. Bei Fragen wie zum Beispiel „Wollen Sie weiter an den anthropogenen Klimawandel glauben, oder vielmehr selbstständig denken?“, werden schlechte Antwortmöglichkeiten gegenübergestellt und man muss aus dem Muster der Frage ausbrechen, um nicht in die Falle zu tappen. 

Wer Philosophie studiert, wird oft mit sehr schwierigen oder unbeantworteten Fragen konfrontiert. Warum tut man sich das an?

Philosophische Fragen haben oft nicht nur eine praktische Funktion, wie etwa die Suche nach der nächsten Bushaltestelle. Sie sind sinnstiftend und helfen, Desorientierung oder falsche Annahmen aufzudecken. Manchmal faszinieren sie einfach durch ihre Tiefe, auch wenn sie keine einfachen Antworten bieten. Solche Fragen lassen einen mit einem intrinsisch unbefriedigenden Zustand zurück, wenn man sie noch nicht beantwortet hat. Dadurch regen sie dazu an, immer wieder über sie nachzudenken, bis man eine zufriedenstellende Perspektive oder zumindest eine tiefere Einsicht gefunden hat. Das kann sehr frustrierend sein, besonders wenn die Antworten sich als unzureichend oder falsch herausstellen. Umso schöner ist es aber, wenn man einen Durchbruch erzielt und eine Frage tatsächlich gut beantworten kann.

Wie sieht der Alltag von Philosoph:innen aus? Wo finden Philosph:innen die Fragen, die sie beantworten möchten?

Wie in anderen Wissenschaften gibt es Debatten, auf die man aufbaut, seien es klassische Texte oder aktuelle Fachartikel. Man orientiert sich an bestehenden Diskursen, findet darin neue Fragen oder Probleme und arbeitet an deren Lösungsperspektiven. 

Mit einem Philosophiestudium sind bestimmte gesellschaftliche Vorurteile verbunden. Welche Fragen begegnen Ihnen häufig?

Der Klassiker ist sicherlich: „Warum braucht man das überhaupt?“ Viele Menschen sehen in der Philosophie keinen offensichtlichen Nutzen und halten sie für wenig relevant. Dabei ist Philosophie eine Wissenschaft wie jede andere mit klaren Standards und systematischem Vorgehen. Ein großer Teil der Philosophie widmet sich etwa der Ethik – einer Disziplin, die normative Fragen wie „Was sollen wir tun?“ wissenschaftlich und argumentativ beleuchtet. Außerdem ist Philosophie hervorragend darin, Begriffe zu analysieren und präzise zu durchdenken. Diese Expertise macht sie zu einem wichtigen Partner in interdisziplinären Projekten.

Was antworten Sie auf große philosophische Fragen, die Ihnen gestellt werden, etwa nach dem Sinn des Lebens?

Ich betrachte Philosophie eher als Disziplin, die hilft, klügere Fragen zu stellen, anstatt abschließende Antworten zu liefern. Dabei kann sie falsche oder problematische Annahmen aufdecken und Orientierung geben. Ob die Antworten am Ende „die richtigen“ sind, ist oft weniger wichtig als der Prozess des Nachdenkens selbst.

Wie können Journalist:innen mit ihren Fragen Diskussionen fördern, statt sie zu polarisieren?

Relevanz ist sicher ein Schlüssel. Fragen sollten sorgfältig formuliert und auf den Kontext abgestimmt sein. Journalist:innen könnten zudem darauf achten, welche Vorannahmen ihre Fragen transportieren und problematische Formulierungen vermeiden. Eine gute Frage regt zum Nachdenken an, ohne manipulierend zu sein. Sie sollte Diskussionen ermöglichen, statt sie zu blockieren. Dabei ist Sensibilität für die Sprache und die Zielgruppe entscheidend.

Von: Katarina Neher