Die Frage des Erwachsenwerdens: Wie der Bachelor of Being die Fragen des Lebens klärt

Morgens um 8 Uhr auf dem Kragenhof. Im Sommer finden hier Hochzeiten und Festivals statt. Jetzt aber liegen die alten Fachwerkhäuser still und verlassen vor mir in der morgendlichen Ruhe. Eine Frau öffnet mir die Tür. Sie ist etwa 50 Jahre alt, trägt eine Nickelbrille und hält eine Kaffeetasse in der Hand. „Bitte einmal die Schuhe ausziehen, wir sind ein schuhfreies Haus“, sagt sie und bittet mich herein. Frau Dr. Imke-Marie Badur ist die Leiterin des „Bachelor of Being“, einem Orientierungsprogramm für junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren. Es soll ihnen helfen, sich selbst zu finden. Wer bin ich? Was möchte ich tun, wenn ich erwachsen bin? Um diese Fragen dreht sich der Bachelor.

Wir setzen uns in den noch leeren Aufenthaltsraum der Gruppe, und sie bietet mir sofort das Du an. „Normalerweise würdest du bei uns direkt in die Morgenmeditation platzen, aber diese Woche haben wir das Thema Körper, Gesundheit und Selbstliebe. Da dürfen die Jugendlichen morgens tun, was ihnen nach dem Aufstehen guttut.“ Auf meine Nachfrage, was das genau bedeutet, antwortet sie: „Manche meditieren, andere gehen in der Fulda Eisbaden, und wieder andere genießen es einfach, etwas länger zu schlafen.“ Sie lacht.

Langsam füllt sich der Aufenthaltsraum. Teller und Tassen klirren, doch niemand spricht ein Wort. Auch das, erklärt mir Imke, ist eine bewusste Entscheidung: „Wer den ganzen Tag über sich selbst redet, ist auch mal froh, beim Frühstück schweigen zu können.“ Ich setze mich zu den Teilnehmenden und schaue mich um. Was mir sofort auffällt: Viele sind deutlich älter als ich. Die Gruppe ist bunt gemischt.

Nach dem Frühstück geht es direkt weiter mit der Morgenrunde, bei der besprochen wird, was ansteht. Heute ist Mittwoch, das heißt bis 13 Uhr ist Haus- und Hofarbeit angesagt. Die Teilnehmenden putzen das Haus, kochen oder helfen auf dem Hof. Es gibt viel zu tun: Hühner versorgen, in der Bäckerei mithelfen oder Holz machen.

Ich begleite eine Gruppe, die welche die Äste in der Einfahrt zurechtschneidet, und komme mit Jamie ins Gespräch. Er hat Maschinenbau studiert und sogar in der Branche gearbeitet, aber das alles war irgendwie nicht das Richtige für ihn. Beim Bachelor of Being will er herausfinden, wie es für ihn weitergehen soll. „Ich hatte noch keinen großen Aha-Moment, aber viele kleine Denkanstöße. Zum Beispiel habe ich erkannt, dass ich besser Grenzen setzen und meine Bedürfnisse klarer kommunizieren muss. Ich muss nicht alles alleine machen. Das habe ich in den letzten zwei Monaten gelernt.“

Ich bin beeindruckt von dieser Reflektiertheit und bedanke mich bei Jamie. Eine Gruppe von Mädchen in meinem Alter ist fast mit ihrer Aufgabe fertig. Sie bauen eine Holzbar ab, die im Sommer für ein Festival genutzt wurde. Schon von weitem höre ich die Akkuschrauber.

Mit einer Teilnehmerin komme ich ins Gespräch. Sie steht auf dem Tresen und schraubt das Dach der Bar ab. „Die Aufgaben auf dem Hof sind immer total unterschiedlich. Vor zwei Wochen habe ich zum Beispiel Feldsalat eingepflanzt – ungefähr 14.000 Pflanzen.“ Sie schraubt weiter. „Ich arbeite gerne hier draußen. Letzte Woche ging es zwar nicht, weil nur fünf Leute gebraucht wurden, aber sonst bin ich immer gerne hier.“

Auf meine Frage, was sie im Leben vorhat, antwortet sie: „Keine Ahnung. Das ist auch irgendwie der Grund, warum ich hier bin. Ich weiß nur, dass ich nach dem Bachelor eine Ausbildung machen und Berufserfahrung sammeln möchte.“ – „Also möchtest du später überhaupt nicht studieren?“ – „Nee, ich habe erst Abi gemacht, musste dann aber abbrechen, weil es mir gesundheitlich nicht gut ging.“ Sie wird kurz nachdenklich. „Der Bachelor of Being gibt mir die Möglichkeit, nach dieser Zeit wieder Erfahrungen zu sammeln.“

Als es 13 Uhr wird, gehen wir zusammen ins Hauptgebäude. Viele liegen sich Arm in Arm oder unterhalten sich vertraut, während sie die Treppen zum Gemeinschaftsraum hinaufsteigen. Ich merke, dass es hier nicht nur um Selbstfindung geht. Vielleicht geht es auch darum, andere zu finden.

Nach der Mittagspause steht der nächste Tagesordnungspunkt an: AG Zukunftsplanung. Einmal in der Woche kommen die Jugendlichen zusammen, um über ihre Zukunft zu sprechen. Die Aufgabe heute: „Schreibt sieben Menschen, die euch wichtig sind, und fragt sie nach sieben positiven Eigenschaften von euch.“ Es wird still im Raum, und die Stifte fliegen nur so über das Papier. Viele scheinen sofort zu wissen, wen sie fragen möchten, andere überlegen länger.

Draußen wird es langsam wieder dunkel, und ich verabschiede mich von der Gruppe. Auf der Heimfahrt im Auto kreisen meine Gedanken weiter. Ist mein Weg eigentlich der richtige?

Viele aus meiner alten Schule wussten sofort, was sie werden wollten. Zugegeben, das lag vielleicht auch daran, dass ich mein Abitur an einer Berufsschule gemacht habe – ein Weg, der oft gewählt wird, wenn man schon ungefähr weiß, in welche Richtung es gehen soll. Trotzdem finde ich es extrem wichtig, dass es Angebote wie den Bachelor of Being gibt!

Fakt ist: Viele Jugendliche wissen nicht, was sie nach der Schule machen sollen. Nicht einmal, was aus ihrem Leben werden soll. Wäre es da nicht sinnvoller, wenn wir uns zuerst auf das Leben vorbereiten? Uns fragen: „Warum bin ich hier?“, bevor wir direkt in eine Ausbildung oder ein Studium starten – nur um dann festzustellen: „Hm, das passt doch nicht.“

Wenn unsere Gesellschaft sich darauf konzentriert, Jugendliche nur möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu bringen und dabei die persönliche Entwicklung vernachlässigt, geht etwas Grundlegendes verloren. Sollten wir nicht dafür sorgen, dass jeder die Chance hat, seinen eigenen Weg zu finden?