„Der größte Fehler ist, erst gar nicht zu fragen“

Jede Entdeckung beginnt mit einer Frage: Lina Eicke-Kanani, Doktorandin am Center for Cognitive Science der Technischen Universität Darmstadt, erklärt, warum es in der Forschung essenziell ist, Fragen ohne Vorbehalte zu stellen. Sie zeigt, dass gerade die scheinbar naiven Fragen den wissenschaftlichen Fortschritt vorantreiben und neue Perspektiven auf die komplexen Mechanismen unseres Denkens eröffnen.

Die Frage ist zu allgemein gefasst, um sie gut beantworten zu können. Zuerst müssten wir definieren, was eine Frage eigentlich ist. Oberflächlich könnte man sagen, das sind Sätze mit einem Fragezeichen am Ende. Das sagt aber noch nichts über ihren Inhalt aus. Zum Beispiel fordert eine Frage, die an meine Erinnerungen anknüpft, mein Gedächtnis heraus und aktiviert die entsprechenden Gehirnregionen.Auch die Form der Frage spielt eine Rolle: Wenn ich sie lese, muss ich sie visuell verarbeiten, was die okzipitalen Regionen beansprucht. Wenn ich sie höre, erfasse ich den prosodischen Rhythmus der Sprache. Die inhaltliche Verarbeitung – also was die Frage eigentlich bedeutet – findet vor allem in den Frontalbereichen des Gehirns statt. Dementsprechend gibt es ganz viele Faktoren, die die Verarbeitung in unserem Gehirn beeinflussen

Ich habe gelernt, dass man in der Forschung vor allem erst mal eines tun muss: Fragen angstfrei stellen. Der größte Fehler ist, erst gar nicht zu fragen. Es ist wichtig, sich in einer frühen Phase der Arbeit zu erlauben, jede Frage zu stellen, ohne sie sofort zu bewerten. Erst durch Iterationen und Feedback werden aus spontanen Gedanken fundierte und gute Fragen. Dabei ist es entscheidend, den Mut zu haben, diese auch laut auszusprechen und offen für Kritik und Verbesserungsvorschläge zu sein.

Eine meiner prägendsten Erfahrungen habe ich während meines Biologie-Bachelorstudiums in einem Elektrophysiologie-Praktikum gemacht. Wir sollten durch ein Mikroskop eine Elektrode im Gehirn eines Versuchstiers sehen. Als ich an der Reihe war, war das Bild unscharf. Ich sagte, dass ich nichts sehe. Es stellte sich heraus, dass das Mikroskop schon länger falsch eingestellt war. Niemand hatte es vorher angesprochen, vermutlich aus der Angst heraus, verurteilt zu werden. Der Instruktor korrigierte die Einstellung geduldig und erklärte alles noch einmal. Für mich war das eine Schlüsselerfahrung: Ich habe gelernt, dass auch vermeintlich naive Fragen wertvoll sind und oft zu besseren Ergebnissen führen. Diese Offenheit hat meine wissenschaftliche Arbeit enorm geprägt.

Ich habe oft das Gefühl, dass wir keine endgültigen Antworten finden – nur Annäherungen. Selbst wenn wir in Experimenten Unterschiede in den neuronalen Signalen zwischen zwei Bedingungen feststellen, bleibt oft unklar, was diese Unterschiede genau bedeuten. Deshalb empfinde ich die Antworten, die wir finden, oft als unbefriedigend. Sie werfen neue Fragen auf, statt endgültige Klarheit zu schaffen. Das ist einerseits frustrierend, aber andererseits auch genau das, was Wissenschaft ausmacht: ein nie endender Prozess des Suchens und Interpretierens.

Meine Promotion dreht sich um die Wahrnehmung von Kausalität, also darum, wie Menschen subjektiv beurteilen, ob ein Ereignis ein anderes ausgelöst hat. Dafür nutzen wir ein Experiment mit animierten Bällen, die sich wie bei einem Billardstoß bewegen. Ich beschäftige mich besonders mit Vorhersagefehlern, also mit der Frage, wie sich die Wahrnehmung ändert, wenn ein Ereignis nicht wie erwartet eintritt. Gleichzeitig interessiert mich aber auch, wie Menschen Kausalität akzeptieren, selbst wenn das Ergebnis nicht exakt ihrer Vorhersage entspricht. Dazu messen wir die Vorhersagen der Probanden und analysieren ihre Augenbewegungen während der Animationen. Außerdem prüfen wir, ob Bewegungen physikalisch logisch oder unlogisch erscheinen und wie das die Einschätzung von Ursache und Wirkung beeinflusst. Mit anderen Worten: Wie beeinflussen die Erwartungen einer Person ihre Einschätzung von Ursache und Wirkung?

Da gibt es viele. Was ist Bewusstsein? Was ist Kognition? Schon diese Begriffe sind schwierig zu definieren. Was bedeutet es, Bewusstsein zu haben? Das sind alles tief philosophische Fragen, die unglaublich komplex sind. Manchmal frage ich mich auch, ob es einen allgemeinen Mechanismus gibt, der nicht nur einzelne Wahrnehmungen, sondern viele unterschiedliche Phänomene erklären könnte. Was ist der grundlegendste Mechanismus, der Wahrnehmung steuert? Für mich waren naiv und einfach gestellte Fragen immer die spannendsten, weil sie oft die Basis für größere Erkenntnisse schaffen können.Ein anderes Thema, das mich umtreibt, ist die Frage nach Zeit, da sie in der Wissenschaft nicht direkt repräsentiert wird. Wir wissen, dass es zeitliche Dynamiken gibt, etwa Oszillationen im Gehirn, aber wie ist unser Gefühl von Zeit überhaupt codiert? Es gibt kein spezifisches Areal, das dafür zuständig ist. Jede Gehirnzelle arbeitet mit ihrer eigenen Zeitskala, und das macht das Verständnis von Zeit unglaublich schwierig. Wenn wir Experimente machen, konvertieren wir kontinuierliche, analoge Prozesse in digitale Formate, um sie analysieren zu können. Dabei verlieren wir zwangsläufig Informationen. Das zeigt, wie schwierig es ist, fundamentale Phänomene wie Zeit oder Kognition wirklich zu erfassen und das beschäftigt mich sehr.

Emotionen prägen unsere Wahrnehmung stark. Obwohl wir in der Wissenschaft versuchen, rational zu sein, sind Emotionen eine natürliche Reaktion unseres Körpers und beeinflussen, welche Fragen wir überhaupt stellen. Ich bin der Meinung, dass uns am Ende die Fragen wirklich voranbringen, die uns persönlich interessieren und motivieren. Sie geben uns die Energie dafür, Zeit und Mühe in die Zerlegung von Problemen zu investieren und sie gründlich zu bearbeiten.

Wann! Immer wann. Ich bin besessen von Timing und will wissen, wann etwas passiert, nicht was passiert… Ich kann mit sehr vielen Sachen leben, ich will nur wissen, wann es passiert, damit ich mich darauf einstellen kann.