War es suizid? Wo soll er liegen? Nach dem Tod eines Angehörigen gehen den Lebenden einige Fragen durch den Kopf. Wie ein Beratungsgespräch aus der Sicht der Angehörigen aussieht, erzählt Emily.
Emily* ist 21 Jahre alt und hat letztes Jahr unerwartet ihren Onkel Kai verloren. Kai kämpfte seit einigen Jahren mit einer nicht behandelbaren Schizophrenie und Suizidgedanken. Im Alter von 48 Jahren hat man ihn tot in seinem Zimmer in der Tagesklinik gefunden. Seine genaue Todesursache konnte nie festgestellt werden. Zusammen mit ihrem Vater, ihrer Oma und ihrem Cousin stellte sie sich in Seligenstadt den Fragen eines Bestatters.
*Name geändert
Wie hast du die Fragen des Bestatters aufgefasst? Hast du eine bestimmte Vorgehensweise wahrnehmen können?
Für mich war es ein schlimmer Tag, für ihn ist es der Alltag. Natürlich ist er emotional nicht involviert, aber das würde ich positiv sehen. Er ist die Person, die in einem emotionalen Chaos den Überblick behält, einen kühlen Kopf bewahrt, sortiert und genau im richtigen Moment die passenden Fragen stellt. Eine besondere Taktik konnte ich hierbei nicht wahrnehmen, aber es war genau richtig und wegweisend.
Gab es eine Frage von ihm, die dich, trotz der organisatorischen-Charakters, besonders berührt hat?
Es war sehr emotional, das Alter meines Onkelslaut auszusprechen, da er viel zu jung zum Sterben war. Sein Portemonnaie war noch in seiner Hosentasche, als sein Leichnam vom Bestatter abgeholt wurde. Zu wissen, dass es vielleicht angewärmt war durch seine Körpertemperatur und wir es jetzt eiskalt in den Händen halten, war beklemmend. Jedes Mal, wenn sein Name fiel, hat meine Oma wiederholt: “Ja, das ist mein Sohn.“ Dass sie im Bestattungsgespräch für ihren eigenen Sohn sitzen muss, hat auch den Bestatter sichtlich berührt. Auch er musste manchmal leise schlucken.
Du saßt zusammen mit deiner Familie in dem Gespräch. Wie hat deine Familie auf die Fragen reagiert?
Meine Oma hat zu dem Zeitpunkt den Tod ihres Sohnes noch nicht realisiert. Sie war in einer Gedankenwelt gefangen zwischen “Er ist gestorben” und “Morgen wacht er wieder auf”. Dennoch war sie diejenige, die direkt auf Fragen des Bestatters ohne Atempause geantwortet hat. Alle anderen waren noch in einer Art Schockzustand und haben vor dem Gespräch die Situation als nicht real empfunden. Mit der Planung der Beerdigung und dem Aussuchen einer Urne wurde uns jedoch immer bewusster, dass er wirklich tot ist.
Habt ihr die Fragen zusammen beantwortet? Wart ihr euch immer einig?
Eine Frage, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, war “Wer soll die Trauerrede halten?” Meine Oma ist orthodox und einer Art Sekte angehörig. Impulsiv, wie sie zu dem Zeitpunkt war, hat sie jemand Neuapostolischen aus ihrer Kirche vorgeschlagen. Da mein Onkel überhaupt nicht gläubig war, hätten wir ihn damit nur geärgert. Wir Nichten und Neffen waren uns einig, dass dies nicht in Kais Sinne gewesen wäre. Die andere Hälfte der Familie hätte es “für die Oma” geduldet. Meiner Meinung nach wäre das aber nicht richtig gewesen. Der Konflikt hierbei war, mit unserer ultra-religiösen Oma einen Kompromiss zu finden. Die Frage hat natürlich nicht zu einem Streit geführt, aber sie hat verdeutlicht, für wen die Beerdigung eigentlich ist: Für den Verstorbenen.
Es ist natürlich eine unheimlich traurige Situation, vor allem, wenn jemand unerwartet stirbt. Hat dich eine Frage in der Situation vielleicht trotzdem zum Lachen gebracht?
Ja, als es um die Frage ging, wie groß die Traueranzeige werden soll. Von Anfang an war klar, dass wir keine fertige Anzeige nehmen, da man diese automatisch mit alten Menschen in der Zeitung verbindet. Der Bestatter hat uns erklärt, dass je größer die Anzeige ist, desto teurer wird es. Und mein Cousin konnte sich nicht verkneifen zu sagen “Kai hätte eine Doppelseite gewollt, egal wie viel sie kostet.“ Das hat die Situation aufgelockert, weil wir alle wieder unseren lustigen, pompösen Onkel neben uns sitzen hatten, dem der Preis egal wäre. Hauptsache man sieht ihn.
Fällt dir eine Frage ein, die vielleicht ungewöhnlich war? Oder bei der ihr gezögert habt, sie zu stellen?
Bei uns in der Familie gab es Streitigkeiten darüber, in welchem Grab Kai willkommen ist. Nachdem eine Seite der Familie ihn erst ablehnte und es dann doch erlaubte, war für uns klar: Kai findet seinen eigenen Platz im Friedwald. Weil unsere Oma später neben ihm liegen wollte und unser Opa schon vor einigen Jahren verstarb, fragten wir den Bestatter also: “Wäre es möglich, Opa noch einmal auszugraben?” Da er in einer Urne beerdigt wurde, ging das auch problemlos. Aber die Vorstellung, die Stelle und die Erde wieder aufzuwühlen, fühlte sich falsch an. Es ist ein bisschen, als würde man seine Ruhe stören. Aber dort, wo er jetzt liegt, ruht er besser.
Welche Fragen kamen dir in den Kopf, als du deinen Onkel das letzte Mal sehen durftest?
Ich habe ihn am Abend seines Todestages gesehen. Zu diesem Zeitpunkt lag er noch nicht im Kühlschrank, hatte keinen zugenähten Mund. Er sah so friedlich aus, wie seit Jahren nicht mehr, deshalb wollte ich mir dieses Gesicht von ihm merken und bin nicht mehr zur Abschiednahme des Bestatters gegangen. Da er an dem Tag erst von dem Ort getragen wurde, an dem er gestorben ist, habe ich mich gefragt, wie die letzten Minuten seines Lebens waren, ob er Angst hatte, nach welchen Gedanken ihm die Augen zufielen und vielleicht auch aus welchem Winkel er die ganze Situation gerade beobachtet. Bis heute frage ich mich, ob er etwas zu sich genommen hat, um diese Friedlichkeit zu erreichen.
Hast du dir nach dem Schicksalschlag selbst Fragen über den Tod gestellt?
In der Zeit nach dem Gespräch habe ich oft darüber nachgedacht, wie ich meine Beerdigung gerne später hätte und was ich am schönsten finden würde. Die Situation mit meiner Oma hat mir auch verdeutlicht, dass es wichtig ist, Fragen über die eigene Beerdigung vielleicht vor dem Tod mit einem Familienmitglied durchzugehen. Ich frage mich auch, ob man wirklich eine kleine Zusammenfassung der schönsten Momente in seinem Kopf sieht. Wünschen würde ich es mir definitiv!
Von: Katharina Nüßlein